J.-A. Bernhard: Konsolidierung des reformierten Bekenntnisses im Reich der Stephanskrone

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Titel
Konsolidierung des reformierten Bekenntnisses im Reich der Stephanskrone. Ein Beitrag zur Kommunikationsgeschichte zwischen Ungarn und der Schweiz in der frühen Neuzeit (1500–1700)


Autor(en)
Bernhard, Jan-Andrea
Reihe
Refo500 Academic Studies
Erschienen
Göttingen 2017: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
800
von
Csukás Gergely: Institut für Historische Theologie, Universität Bern

In seiner Habilitationsschrift beschreibt Jan-Andrea Bernhard, Privatdozent an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich, unter kommunikationsgeschichtlicher Perspektive die Konsolidierung des reformierten Bekenntnisses im Reich der Stephanskrone (im Folgenden vereinfachend «Ungarn») im 16. Und 17. Jahrhundert. Kennzeichen der ungarischen protestantischen Ideengeschichte sind die vielfältigen Beziehungen und Kontakte mit humanistischen Gelehrten, Reformatoren und protestantischen Theologen in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Bernhard hat es sich zur Aufgabe gemacht, Ungarns Kommunikationsnetzwerk mit der Schweiz unter Berücksichtigung der Peregrination, der Epistolographie und der Buchgeschichte zu untersuchen, wobei insbesondere für das 17. Jahrhundert Forschungsdesiderate ausgemacht werden. Um zu einer «allgemeinen Erkenntnis» zu kommen, geht Bernhard bewusst «induktiv» vor (S. 28), mit dem (hohen) Anspruch, die «vorhandenen Quellen möglichst erschöpfend» (S. 30) für den besagten Zeitraum zu untersuchen und auszuwerten. Zu diesem Zweck wurden Archive und Bibliotheken quer durch Europa von Paris bis Kronstadt und von Prag bis Genf aufgesucht sowie Quellensammlungen zur ungarischen (Kirchen-)Geschichte konsultiert (erwähnenswert sind selten benutzte Quellen wie Exlibris- und Supralibros-Einträge sowie Stammbücher bzw. Alba amicorum). Mit diesem Vorgehen sollen gängige Modelle und Theorien der (ungarischen) Kirchengeschichtsschreibung hinterfragt werden.

Nach einem Überblick über den allgemeinen humanistischen Kulturaustausch Europas, von dem Ungarn ein selbstverständlicher Teil gewesen ist, wird in vier Abschnitten die besagte Kommunikationsgeschichte dargelegt. Im ersten Teil (1500–1526) wird anhand der vielfältigen Kontakte zwischen Ungarn und der Schweiz (insbesondere Basel) die besondere Bedeutung des Humanismus für die reformatorische Entwicklung Ungarns dargelegt. Im zweiten Teil (1526–1550) verweist der Autor auf die massgebliche Bedeutung des Bibelhumanismus rasmischer Prägung. Er wertet diesen – für die Zeit vor der Teilung Ungarns in verschiedene konfessionelle Richtungen um die 1550er Jahre – als eine Besonderheit der ungarischen Reformationsgeschichte. Konsequenterweise plädiert der Autor, für diesen Zeitabschnitt den Begriff «humanistische Reformation» oder «reformatorischer Humanismus» zu verwenden, da unter der humanistischen Leitidee die Grenzen zwischen katholisch, lutherisch und reformiert fliessend waren. Ungarn blieb für viele Einflüsse offen und versuchte – trotz gegenseitiger Abgrenzungen der Konfessionen – einen irenischen Weg der via media zu gehen. Dabei blieben die Kontakte mit dem Humanismus Basels und mit der vermittelnden Theologie Melanchthons prägend. Die «Türkenfrage» in Ungarn trug entscheidend dazu bei, dass man sich stärker der schweizerischen Theologie gegenüber öffnete, die eine klarere Haltung zum bewaffneten Widerstand (Erasmus) oder zur Mission (Bullinger, Bibliander) zeigte als Luther.

Im dritten Teil wird die Zeit von 1550 bis 1606 (Wiener Frieden) aufgegriffen. In diesem Zeitabschnitt erfolgte die entscheidende Konsolidierung des reformierten Bekenntnisses (Confessio Helvetica posterior), für dessen Durchsetzung die wechselseitigen ungarländischen Kontakte mit Basel, Zürich (Heinrich Bullinger) und Genf (Theodor Beza) die entscheidende Rolle spielten. Insbesondere erbat man sich Hilfe in der theologischen Bekämpfung des Antitrinitarismus, der bezeichnenderweise durch Werke romanischsprachiger Nonkonformisten aus Basel nach Siebenbürgen importiert worden ist – auch für die Unitarier spielte also die Schweiz eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung ihrer Konfession. Nicht zuletzt als Abgrenzung gegen die Antitrinitarier wurde das zweite Helvetische Bekenntnis Bullingers auf der Synode von Debrecen 1567 verbindlich rezipiert – und damit der Grundstein für die bleibende Hinwendung Ungarns zur Schweiz gelegt, die sich im 6. und dann im 17. Jahrhundert weniger in der Peregrination und in direkten Kontakten äusserte, sondern vor allem in der Rezeption der Werke Calvins, Bullingers und Bezas. Ausserdem wurden bedeutende ungarische dogmatische Werke in Basel gedruckt.

Im vierten Teil (1606–1700) veranschaulicht der Autor, wie im Zeitalter der «katholischen Restauration» und der «reformierten Orthodoxie» sowohl die Peregrination in die Schweiz (Heidelberg und die Niederlande spielten nun eine grössere Rolle) als auch die persönliche Korrespondenz mit der Schweiz abnahmen. Dennoch – so Bernhard – blieb die Verbundenheit mit der Schweiz durch die bleibende Bedeutung des Humanismus und der Rezeption theologischer Helvetica (etwa durch die Übersetzungen der Werke Calvins durch Albert Szenczi Molnár) weiterhin bestehen. Dies wird deutlich an der Aufnahme der ungarischen Prediger in der Schweiz, die während des «Trauerjahrzehnts » (1671–1681) aufgrund ihres reformierten Bekenntnisses zur Galeerenstrafe verurteilt worden waren. Die intensiven Kontakte ungarischer Theologen zu Johann Heinrich Heidegger bildeten eine Grundlage für die Rezeption der coccejanischen Föderaltheologie in Ungarn, die wiederum der vermittelnden Ausrichtung Ungarns entsprach. Erst im 18. Jahrhundert gewann die Schweiz für Ungarn wieder an Bedeutung durch die Zunahme peregrierender Studenten. Die Ursache dafür lag vor allem in der Vergabe von Stipendien durch die Schweizer Kirchen – was auf eine konfessionelle Verbundenheit schliessen lässt.

Die kritische Auseinandersetzung mit den Details, die das Herzstück der Arbeit ausmachen, soll den Spezialisten vorbehalten bleiben. Hier sollen lediglich allgemeine Leseeindrücke wiedergegeben werden. Das Werk ist in seiner Materialfülle beeindruckend. Das Lesen des Buches wird jedoch durch zahlreiche Wiederholungen und durch die Dichte an aufgezählten Personen, Korrespondenzen und Büchern erschwert. Dieses Vorgehen wird vom Autor zu Recht legitimiert, da so einzelne Abschnitte für sich gelesen werden können – was die Rezeption für Fachleute erleichtern dürfte. Die Stärke der Studie liegt klar in der Dokumentationskraft der zahlreichen Quellen und der Forschungsliteratur. Gleichzeitig liegt in der bewussten Ablehnung einer theoretischen Konzeption auch ihre Schwäche begründet: Am Schluss weiss man nicht genau, wie die Grundlinien der Kommunikationsgeschichte zwischen Ungarn und der Schweiz gezogen werden sollen. Vielleicht kann hier ein zusammenfassender Aufsatz noch Abhilfe leisten. Dennoch wird man an dieser Habilitationsschrift nicht vorbeikommen, wenn man sich mit dieser Thematik beschäftigen will. Insbesondere als Nachschlagewerk wird die Studie sehr dienlich sein. Dazu hilft auch das ausführliche Register, das jedoch leider nicht in Personen-, Orts- und Sachregister unterteilt ist. Hingegen ist es sehr hilfreich, dass neben den Personen auch die entsprechenden Werke indexiert sind.

Zuletzt ist dem Autor anzuerkennen, dass ihm die nicht leichte Aufgabe einer umfassenden Darstellung einer komplexen theologischen Transfergeschichte unter erschwerten sprachlichen – man denke an die lateinischen, ungarischen und slawischen Quellen – und logistischen Bedingungen gelungen ist. Offenbar hat er aus der Beschäftigung mit Rosius à Porta, der ein Connaisseur der ungarischen Sprache und Kirche war, persönliche Konsequenzen gezogen und ist in dessen Fussstapfen getreten.

Zitierweise:
Gergely Csukás: Rezension zu: Jan-Andrea Bernhard, Konsolidierung des reformierten Bekenntnisses im Reich der Stephanskrone. Ein Beitrag zur Kommunikationsgeschichte zwischen Ungarn und der Schweiz in der frühen Neuzeit (1500–1700), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2017. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 3, 2017, S. 512-514.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 3, 2017, S. 512-514.

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